Linksdrechseln

Das Märchen von der Erfindung des Linksdrechselns

Riesige Stämme der edelsten Hölzer wurden herbeigeschafft, aber auch aus allerlei Stein und Gebein drechselte unser König die wundersamsten Dinge. Versuchte man, den König an dringliche Regierungsgeschäfte zu erinnern, fluchte der König: „Euch werde ich Späne machen!“ und drechselte eifrig mit einem besonders großen Ausdrehhaken weiter. Der königliche Hofmechanikus musste immer neues Drechselbankzubehör zum Längs- und Querpassig-, zum Oval-, Kantig-, Faden-, Versetzt-drehen, zum Guillochieren, Winden, Kannelieren und Kopieren ersinnen und anfertigen. Sogar der bei Hofe so angesehene königliche Hofdrechsler hatte da Mühe, den Überblick zu behalten, da ein umfassendes Referenzwerk über die Drechselei zum damaligen Zeitpunkt noch fehlte. „Wenn doch nur endlich Spannagels ‚Drechslerwerk‘ herauskäme!“  hörte man ihn deshalb öfters seufzen. Weil Gold dazumal in einem königlichen Palast eine wichtige Rolle spielte, war der königliche Hofmathematikus persönlich dafür verantwortlich, dass alle Drechslerarbeiten exakt nach dem „Goldenen Schnitt“ ausgeführt wurden. Sogar der Fußboden der königlichen Hofdrechslerei war aus purem Gold. So hat sich das Sprichwort: „Handwerk hat goldenen Boden.“ bis in unsere Tage erhalten, obwohl man heute weit besser darauf achtet, dass Fördermittel nicht mehr so arg verschwendet werden. Auch der königliche Hofmedikus war fast ständig in der königlichen Hofdrechslerei zu finden: Erste inzwischen verstaubte Studien über gesundheitliche Schäden durch Holzstaub aus dieser Zeit können wir noch heute in alten Archiven finden. Kurzum, das Drechseln war unserem König bald so wichtig, dass beinahe der gesamte königliche Hofstaat mit dem ständigen Ausbau der königlichen Hofdrechslerei beschäftigt war. Nur den königlichen Hofnarren lies man nicht mitmachen. (Hofnarren wurden – zur damaligen Zeit – allgemein für dumm gehalten!) Der Hofnarr ärgerte sich mächtig, denn er hätte gar zu gerne einen selbst gedrechselten Narrenstab besessen. Deshalb machte er sich auf das Drechseln einen zynischen Reim: „Ich bin der Drechsler eilig, was ich nicht drehen kann, das feil‘ ich.“ Da unser König aber im Grunde ein sehr sparsamer Mann war – wie sonst wäre ein König zu seinem königlichen Reichtum gelangt – sagte er eines Tages: „Schluss mit der Verschwendung! Ab sofort werden wir nur noch ganz winzige Objekte drechseln.“ Der königliche Schatzmeister, der schon lange mit Sorge beobachtet hatte, welch riesige Summen die Drechselleidenschaft des Königs verschlang, atmete erleichtert auf. Weil der König aber beim Drechseln der kleinen Objekte nun genauer hinschauen, und sich dazu etwas tiefer über  die Drechselbank beugen musste, rutschte ihm seine schwere goldene königliche Krone ständig ins Gesicht. Entspanntes und konzentriertes Arbeiten war so selbst unserem König unmöglich. Um seinem Ärger Luft zu machen, warf der aus der Fassung geratene König einen kunstvollen ziselierten Anschlagwinkel kraftvoll auf den goldenen Werkstattboden. Nachdem sich wegen der durch die verrutschte Krone versperrten Sicht der Meißel schon ein paarmal verfangen und auf dem Werkstück die gefürchteten und eines drechselnden Königs nicht würdigen „Nürnberger“ fabriziert hatte, riss dem König gänzlich die Geduld und er riss sich wütend seine Krone von Kopf, um sie sofort verkehrt herum wieder aufzustülpen, den ein König ohne Krone, das wäre schlimmer als ein Drechsler ohne seine wohlgepflegten Holzvorräte. Von nun an ging das Drechseln der Kleinteile viel besser von der Hand, denn die königliche Krone konnte nun nicht mehr verrutschen: Die Zacken der schweren goldenen Krone hatten sich tief in die königliche Kopfhaut eingeschnitten und gaben ihr festen Halt. Der königliche Hofdrechsler, der sich durch das ständige Schärfen der königlichen Drechselmesser mit den Jahren auch einen scharfen Blick und einen scharfen Verstand erworben hatte, schlussfolgerte daraus: „Der König konnte eben ein Problem lösen, indem er etwas umgedreht hat. Es müsste doch möglich sein, dieses einfache Prinzip vorteilhaft auch auf andere Situationen anzuwenden. Der königliche Hofdrechsler hob den Anschlagwinkel auf, den der König in seiner Wut zu Boden geworfen hatte. Indem er ihn einfach umdrehte und ihn so  erneut an einen zuvor damit angerissenen Winkel anlegte, konnte er nun leicht prüfen, ob der Winkel durch den Fall seine Genauigkeit eingebüßt hat. Der königliche Hofchronist wurde eilig herbeigerufen um das genaue Datum der Erfindung der Umschlagmethode mit dem königlichen Siegel urkundlich zu beglaubigen. Ermutigt durch diesen Teilerfolg schlug der Hofdrechsler nun seinem König vor, doch gleich mal auszuprobieren, welche Vorteile es bringt, die ganze Drechselbank umzudrehen. Obwohl sich der König – wie schon gesagt – nur ungern beim Drechseln unterbrechen lies, willigte er ein, denn er war auf den Einfallsreichtum seines königlichen Hofdrechslers angewiesen. „Das geht ja wie mit links!“ rief der König begeistert schon nach dem ersten Versuch. „Wie Kartoffel schälen!“ fügte der – etwas vorwitzige königliche Hofkoch hinzu, der gerade die Pausensnacks servierte. Sofort nahm unser König den Koch beiseite und verdonnerte ihn zum Stillschweigen. Denn wenn erst einmal das Volk darüber nachdenken würde, ob nicht so manch althergebrachtes besser vonstatten ginge, wenn man die Seiten einfach mal vertauscht, könnte das für einen König böse enden.

Quelle: Hans-Günter König

 

Als ich diesen Text geschrieben, respektive übernommen habe, wusste ich noch nicht, dass es Linksdrechselbänke gibt. Bei einem Besuch bei Heiner Stephani in Olbernhau im Erzgerbirge habe ich so eine gefunden. Wieso man eine Linksdrechselbank baut, habe ich schnell begriffen, als Heiner mir seine wunderschöne antike Linksdrechselbank gezeigt hat. Im Erzgebirge werden noch heute sehr viele Kleinteile gedrechselt. Damit der Drechsler mit dem linken Arm nicht über den Spindelstock greifen muss, hat man diesen einfach auf die rechte Seite gestellt. Damit  ist die Unfallgefahr wesentlich kleiner. Leider habe ich damals kein Foto von dieser Drechselbank gemacht. Doch wer mal ins Erzgebirge fährt, besuche Heiner Stephani in seiner Drechslerei. Er wird sie gerne zeigen.

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